Hans Josephsohn – Im Haus der Plastik. Ein Film von Marcus Spichtig

Zuerst sehen wir die Zigarre. Sie bewegt sich im Rhythmus der Worte, die Hans Josephsohn spricht. Er erinnert sich an die letzte grosse Offensive der deutschen Wehrmacht, die von der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde. «Damit hat meine Laufbahn begonnen, dass mir klar wurde, die Deutschen haben den Krieg endgültig verloren, dass ich am Leben bleiben kann.» Beides, die Zigarre und das Schicksal des jungen Mannes aus einer jüdischen Familie, dessen Leben bedroht ist, zieht sich leitmotivisch durch dieses Porträt. Behutsam, mit wenigen Fragen, nähert sich Regisseur Marcus Spichtig dem Menschen und Künstler Hans Josephsohn. Allzu viel gesprochen wird nicht. Die Bilder erzählen ihre eigene Geschichte. Das Atelier ist die Welt, wir sehen es kurz von aussen, ansonsten bleibt die Kamera in Hof und Haus. Alltägliche Dinge wie die Kaffeekanne werden gross ins Bild gerückt, als seien sie Objekte, an denen sich die Zeit verfängt wie auf altniederländischen Stillleben. Diese offene Atmosphäre lässt Hans Josephsohn immer wieder zurückblicken: Auf die Kindheit in Königsberg, die glückliche Aufnahme in Italien 1938 und die ersten Jahre in der Schweiz. Manchmal schauen wir ihm beim Sprechen zu, den Kopf gross ins Bild gerückt, meistens zeigt die Kamera aber den Bildhauer bei der Arbeit. Er rührt Gips an, baut Figuren, schlägt mit dem Beil Stücke ab, setzt andere an, und schaut immer wieder, wie die Veränderungen wirken. Das Auge ist mindestens so wichtig wie die Hand. Hans Josephsohn vergisst nie, dass die Kamera mit anwesend ist. Dennoch hat kein neuerer Film uns so nahe an den Alltag dieses grossen Bildhauers herangeführt, wie das Porträt von Marcus Spichtig. Heute, nachdem Hans Josephsohn verstorben und sein Atelier aufgelöst ist, ist es ein einzigartiges Dokument.
Gerhard Mack

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